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Ambulantisierung im Fokus: Warum Kliniken sich auf den Wandel vorbereiten müssen

Ambulantisierung im Fokus: Warum Kliniken sich auf den Wandel vorbereiten müssen

Ambulantisierung: Hintergrund und Bedeutung

Ambulantisierung bezeichnet den Transfer medizinischer Leistungen aus dem stationären in den ambulanten Bereich. Das Ziel ist, Patient:innen seltener stationär zu behandeln, indem zunehmend Eingriffe in Tageskliniken oder Arztpraxen durchgeführt werden. Diese Reform ist ein Kernstück der Krankenhauspolitik von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Geplant ist, etwa 25 % der stationären Behandlungen in den ambulanten Sektor zu verlagern (Bundesministerium für Gesundheit, 2023).

 

Gründe für die Ambulantisierung

Ein zentraler Grund für die Ambulantisierung ist die Senkung von Kosten. Viele Behandlungen, die aktuell stationär durchgeführt werden, erfordern keine Übernachtung im Krankenhaus. Dies entspricht den Ergebnissen des IGES-Gutachtens, das feststellt, dass die stationäre Versorgung in Deutschland historisch stark ausgeprägt ist und oft mehr Ressourcen bindet, als notwendig wäre (IGES-Institut, 2021). Durch ambulante Behandlungen könnten Kosten für Übernachtungen, Verpflegung und Pflege gesenkt werden.

Zusätzlich hebt die EU-Kommission hervor, dass Deutschland im europäischen Vergleich mit 7,9 Betten pro 1.000 Einwohner die höchste Krankenhausbettenkapazität hat, während der EU-Durchschnitt bei 5,3 liegt (EU-Kommission, 2021). Trotz eines Rückgangs der Bettenkapazität um 13 % seit dem Jahr 2000 ist der Anteil stationärer Behandlungen in Deutschland weiterhin überproportional hoch. In Ländern wie Schweden und Dänemark wird etwa 70 % der Leistenbrüche ambulant versorgt, während es in Deutschland nur etwa 20 % sind (Die Chirurgie, 2023).

Nutzen der Ambulantisierung

Das IGES-Gutachten betont, dass durch die Ambulantisierung eine Entlastung der Krankenhäuser erreicht werden kann, indem Personal und Infrastruktur besser genutzt werden. Dies könnte besonders die Notaufnahmen entlasten, in denen es oft zu Überbelegungen kommt, weil Patient:innen auf stationäre Betten warten müssen. Eine effizientere Steuerung der Behandlungsflüsse, wie sie das Gutachten fordert, könnte auch die Qualität der Versorgung erhöhen, da Krankenhäuser sich auf schwerere Fälle konzentrieren könnten (IGES-Institut, 2021).

Zudem könnte die Ambulantisierung den Fachkräftemangel abmildern. Da weniger stationäre Patient:innen zu betreuen wären, könnten Pflegekräfte und Ärzt:innen entlastet werden. Dies ist in Zeiten des zunehmenden Personalmangels im Gesundheitswesen ein wichtiger Faktor (Bundesministerium für Gesundheit, 2023).

Kritik und Herausforderungen

Laut einer Umfrage der Stiftung Gesundheit sind niedergelassene Ärzt:innen jedoch skeptisch gegenüber der Ambulantisierung. 45 % der befragten Haus- und Fachärzt:innen sehen die Verlagerung stationärer Leistungen als Risiko, während 38 % sowohl Chancen als auch Risiken wahrnehmen (Stiftung Gesundheit, 2023). Besonders kritisiert wird die Sorge um eine zusätzliche Belastung ambulanter Praxen sowie mögliche Risiken durch verkürzte Beobachtungszeiten. Das IGES-Gutachten weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass eine strukturelle Integration zwischen stationärer und ambulanter Versorgung notwendig ist, um eine nahtlose und qualitativ hochwertige Versorgung zu gewährleisten (IGES-Institut, 2021).

Fazit

Die Ambulantisierung hat das Potenzial, das deutsche Gesundheitssystem effizienter zu gestalten und Kosten zu senken. Sie bringt einen Wandel für Kliniken und ambulante Strukturen mit sich und erfordert neue Konzepte. Um den Erfolg sicherzustellen, müssen jedoch die strukturellen Voraussetzungen geschaffen werden, wie sie im IGES-Gutachten gefordert werden und darüber hinaus. Dazu gehören die bessere Verzahnung von ambulanten und stationären Versorgungsformen sowie die Integration digitaler Tools zur Unterstützung der ärztlichen Zusammenarbeit.

Quellen:

– Bundesministerium für Gesundheit. (2023). Krankenhausreform 2023.

– EU-Kommission. (2021). State of Health in the EU: Germany, Country Health Profile 2021.

– Die Chirurgie. (2023). „Ambulante Versorgung bei Leistenbrüchen.“

– IGES-Institut. (2021). „Gutachten zur sektorenübergreifenden Versorgung.“

– Stiftung Gesundheit. (2023). Umfrage zur Ambulantisierung unter niedergelassenen Ärzt:innen.

Philipp Henßler

Gesundheitsökonom MBA
Geschäftsführer

  • Langjährige Erfahrung im Klinik-, Service & MVZ-Management u.a. Prokurist / Klinikdirektor medius KLINIKEN gGmbH im Landkreis Esslingen bei Stuttgart
  • Experte für Krankenhausfinanzierung, Analyse des Leistungsportfolios und Wirtschaftlichkeitsberechnungen
  • Lehrbeauftragter der Steinbeis Hochschule und der Ravensburg Weingarten University (RWU)

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